Nachahmungsschutz im Wettbewerb – was Unternehmen jetzt wissen müssen

Wer Produkte gestaltet, verpackt oder vertreibt, bewegt sich oft auf einem schmalen Grat zwischen Inspiration und unlauterer Nachahmung. Immer wieder stellt sich die Frage:
Wann ist ein Design oder eine Verpackung noch zulässige Anlehnung – und wann wird daraus ein Wettbewerbsverstoß?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren jüngeren Entscheidungen die Grenzlinien des Nachahmungsschutzes nach § 4 Nr. 3 UWG deutlich geschärft. Die Urteile zu KERRYGOLD“ (I ZR 15/22)Glück“ (I ZR 126/22)Flying V“ (I ZR 192/20) und Bewegungsspielzeug“ (I ZR 80/24) zeigen, welche Kriterien heute entscheidend sind, wann Produktgestaltungen oder Verpackungen lauterkeitsrechtlichen Schutz genießen – und wann die Nachahmung zulässig bleibt.:

  • Wann ein Produkt oder eine Verpackung überhaupt wettbewerbliche Eigenart besitzt,

  • wann eine Herkunftstäuschung oder Ausnutzung der Wertschätzung vorliegt,

  • und wie sich Unternehmen vor teuren Abmahnungen und Rechtsstreitigkeiten schützen können.

Die Botschaft ist klar:
👉 Design ist kein rechtsfreier Raum.
Wer sich zu eng an fremde Gestaltungen anlehnt, riskiert Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche. Wer dagegen seine Eigenart gezielt entwickelt und dokumentiert, kann sie erfolgreich verteidigen.

1. „KERRYGOLD“ (BGH, Urt. v. 26.1.2023 – I ZR 15/22)

Verpackungen können eigenständig geschützt sein

Der BGH stellte klar: Auch verpackte Produkte wie Butter oder Mischstreichfette können wettbewerbliche Eigenartbesitzen und damit lauterkeitsrechtlich gegen Nachahmung geschützt sein.
Entscheidend ist, ob Gestaltungselemente – etwa Farbgebung, Schrift, Siegel oder Motiv – beim Verbraucher als Hinweis auf eine bestimmte betriebliche Herkunft verstanden werden.

Im Fall „KERRYGOLD“ ging es um eine Butterverpackung, deren grüne Landschaft, goldene Schrift und runde Siegel an das Original erinnerten. Eine andere Produkt- oder Herstellerbezeichnung reicht nicht automatisch aus, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen – es zählt der Gesamteindruck.

Praxis-Tipp:
Wenn Sie Verpackungen entwickeln, prüfen Sie: Welche Elemente sind für den Wiedererkennungswert entscheidend? Je stärker Sie sich an ein bekanntes Design anlehnen, desto höher das Risiko einer Herkunftstäuschung.

2. „Glück“ (BGH, Urt. v. 7.12.2023 – I ZR 126/22)

Ideen sind nicht schützbar – Gestaltung schon

Das Konzept, ein emotionales Schlagwort („Glück“) als Produktname zu verwenden, begründet keine wettbewerbliche Eigenart. Schutzfähig ist nicht die Idee, sondern nur die konkrete Gestaltung, die der Verkehr als Hinweis auf eine bestimmte Herkunft versteht.

Zugleich stellte der BGH klar: Auch bei unterschiedlichen Produktkategorien (z. B. Honig vs. Konfitüre) kann eine Herkunftstäuschung denkbar sein, wenn Verpackung und Stil stark aneinander angelehnt sind.

Praxis-Tipp:
Bei der Entwicklung neuer Produktlinien sollten Sie sicherstellen, dass Ihre Gestaltung eigenständig wirkt. Ein attraktiver Begriff genügt nicht – entscheidend ist der visuelle Gesamteindruck.

3. „Flying V“ (BGH, Urt. v. 22.9.2021 – I ZR 192/20)

Ikonische Formen genießen besonderen Schutz

Die berühmte V-förmige Gitarre von Gibson („Flying V“) war Gegenstand dieses Urteils. Der BGH erkannte ihre wettbewerbliche Eigenart an: Eine markante Form kann Herkunftshinweis sein – auch ohne eingetragene Marke.

Zudem unterschied der BGH zwischen unmittelbarer Herkunftstäuschung (der Käufer hält das Produkt für das Original) und mittelbarer (der Käufer glaubt, es handele sich um eine neue Serie oder Zweitmarke des Originals).

Praxis-Tipp:
Wer mit auffälligen Formen arbeitet, sollte prüfen, ob diese bereits vom Markt als Erkennungszeichen eines Herstellers verstanden werden. Andernfalls droht der Vorwurf der Nachahmung.

4. „Bewegungsspielzeug“ (BGH, Urt. v. 10.4.2025 – I ZR 80/24)

Abstand halten – auch bei Spielzeugdesigns

Im Fall „Bewegungsspielzeug“ (betroffen: die bekannten Stapelsteine) erkannte der BGH zwar eine hohe wettbewerbliche Eigenart, verneinte aber eine unlautere Nachahmung: Die Nachbildung wich deutlich ab, und eine mittelbare Herkunftstäuschung war nicht belegt.

Damit konkretisierte der BGH die Anforderungen an den Nachahmungsschutz bei geometrischen und modularen Formen. Nur wenn der Verkehr tatsächlich glaubt, es handele sich um eine Produktlinie des Originals, liegt ein Verstoß vor.

Praxis-Tipp:
Auch bei schlichten Formen gilt: Prüfen Sie den Gestaltungsabstand. Dokumentieren Sie, wie sich Ihr Produkt optisch und funktional unterscheidet – das kann im Streitfall entscheidend sein.

Fazit: Was Unternehmen jetzt beachten sollten

Die vier Entscheidungen zeigen: Der Nachahmungsschutz ist kein Spezialthema für Großkonzerne, sondern betrifft jedes Unternehmen, das Produkte entwickelt, gestaltet oder vertreibt.
Wer sich absichern will, sollte:

  1. Gestaltungen vor Markteinführung prüfen – ob sie Eigenart besitzen oder sich zu stark an bestehende Produkte anlehnen.

  2. Dokumentieren, welche Elemente gezielt entwickelt wurden, um Herkunftswirkung aufzubauen.

  3. Deutliche Herkunftskennzeichen verwenden, um Verwechslungen zu vermeiden.

  4. Bei Zweifeln rechtlich beraten lassen – schon kleine Unterschiede in Verpackung oder Form können über Erfolg oder Abmahnung entscheiden.

Der rote Faden aller Urteile: Nur die konkrete Gestaltung ist schutzfähig – nicht die Idee.
Wer kreativ und strategisch vorgeht, kann Nachahmungsschutz nicht nur vermeiden, sondern auch gezielt nutzen, um seine Produkte im Wettbewerb abzusichern.